Gina Pietsch singt Bertolt Brecht

jw Feuilleton / 14.12.12

Die „grande dame“ der DDR betritt das kleine Plafont der Ladengalerie in der Torstraße, als setze sie ihre roten Schuhe auf die Bühne des Friedrichstadtpalastes.

Frenetischer Beifall begrüßt sie. Sie lacht, sie strahlt, sie singt und haucht, brüllt und tanzt und die Verstärkung des Mikros bricht sich alsbald an den Scheiben und Wänden des zu eng empfundenen Raumes.

Sie spiegelt Brechts selbstironische Art

Inhaltlich ist das Programm zunächst Brecht-biografisch ausgerichtet, dann geht es auf Antifa und Antikrieg über, die Texte sind gut ausgewählt und lassen sich auf die heutige Situation übertragen. Doch sah ich Brecht noch nie so. In ihrer Gestik und ihrem Vortrag ist eine Art der Theatralik, die zu einer selbstironischen Karrikatur wird. Dies spiegelt gut Brechts eigene selbstironische Art wieder und damit gelingt, dass die Lieder neu gehört werden und damit besser auf unsere heutige Zeit übertragen werden kann als auf herkömmliche Art gesungen. Und dann die Stimme.

Macht man die Augen zu und lässt nur die Stimme auf sich wirken, die hier kein Mikro gebraucht hätte, so fallen zwei Sachen auf: Die Klarheit der Töne, der Worte und die Tiefe und Volltönigkeit. Die Texte: „Komm, wasch den Zinklöffel im Bottich, dann kannst du dableiben“ „ Unterrichtet wurde ich in der Kunst des Befehlens…dann verließ ich meine Klasse, so haben sie einen Verräter aufgezogen, nun plaudere ich ihre Geheimnisse aus: Das Latein ihrer bestochenen Pfaffen übersetze ich und es erweist sich als Humbuk… Als ich mich mit den Bestohlenen setzte und Pläne machte, schickte man mir einen Steckbrief hinterher“ sind selbstbewusst und herrschaftskritisch.

Wie man im Exil immer wartet

Die Beschreibung, wie man im Exil immer wartet, nie sich mit dem Gastland wirklich anfreunden will und also immer im Geist bei seinen Leuten zuhause bleibt, hört man so, als spreche sie im Rahmen der Ausländer-Integrationsdebatte gegen die Forderung des zwangsweisen Deutschlernens mit dem Zeigefinger. Dann die Beschreibung seiner Ankunft in Amerika, „ wenn einen nicht die billige Hübschheit hindert“, es folgt eine Aufzählung von Künstlichkeit und Scheinwelt und wie im ständigen Lächeln der selbst schon zur Ware gewordenen Menschen sich Opportunismus als wichtigste Tugend zeigt, das wirkt wie eine exakte Beschreibung der heutigen südlichen Friedrichstraße und Gina Pietsch karikiert es mit ihrem breitesten Lächeln, ironisierend, quasi tänzelnd.

Das Programm ist sehr dicht, man hat was davon. Das Gedicht für Oskar Maria Graf: Verbrennt mich!, singt sie eindringlich und ernst. Und das musikalisch sehr schwer zu singende Lied über das grauenvolle Durch-die-Straßen-treiben einer Frau, die mit dem „falschen Mann zu Bette ging“  (Ballade der Marie Sanders), singt sie, als sei sie selbst diese Frau.

Rot blitzende Lackschuhe

Zu Höchstform läuft sie auf, als das Lied vom Deutschen Soldaten und was er so aus dem Krieg mitbringt, anstimmt, nun kommen die überdimensionalen Stöckelschuhe zum Einsatz, sie lüftet ihr schwarzes Rüschenkleid, gibt ihr Bein frei und zeigt stolz die rot blitzenden Lackschuhe. Das Publikum tobt, denn in diesem Lied wird deutlich, dass sie in einer Rolle immer gleichzeitig die Person und deren Kommentator ist. Konkret und abstrakt, empathisch und vermittelnd.

Kinder in Schneewüsten

Für ernste Gedichte, wie die Kinderkommentierungen zum Krieg (Mein Bruder war ein Flieger, südwärts ging die Fahrt) und den Kinderkreuzzug setzt sie sich auf einen Stuhl, bewegt sich kaum noch und spricht nur noch eindringlich. Man sieht die Kinder über die Schneewüste wandern und wenn dann die Rede ist von den Tausenden anderen, die überall auf der Welt herumziehen, dann sehen wir die in Afganisthan und im Irak und in Syrien und Gaza vor uns und totenstill wird’s im Raum.  Zuhause schaue ich mir auf youtube ihre Ballade vom Wasserrad an, die sie 1989 in einem riesigen Saal in der DDR sang. Solche Wucht, solche Wut stand am Anfang der Idee eines Sozialismus ohne verknöcherte Machtverhältnisse. Heute haben wir die billige Hübschheit eines Wirtschaftssystems, das viel zu viele Menschen hilflos und dumm macht.

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