Martinus Luther, Danton und Leonce und Lena am Theater Vorpommern

Am deutschen Einheitswochenende gedachte man in Stralsund und Greifswald mit zwei Premieren und einer Preview der deutschen Geschichte: In Stralsund feierte „Martinus Luther“ Premiere, in Greifswald gab man Büchners Drama: „Dantons Tod“ als Preview, am Abend dann die Komödie: „Leonce und Lena“ als Premiere.

Was also und wer also war für die deutsche Geschichte prägend? 

Eine spannende Frage: Der von Teufelsvorstellungen gejagte Luther, der sich zum Schutz dagegen am liebsten mit Gott selbst verschmelzen wollte und später unter den Rock der Obrigkeit kroch und mitverantwortlich dafür ist, dass die erste deutsche Bauern-Revolution 1525 schief gegangen ist und Zehntausende derjenigen, die seine frühen Worte ernst genommen hatten, hingemordet wurden – oder der Nonkonformist Büchner, der 300 Jahre später mit dem Hessischen Landboten (Friede den Hütten-Krieg den Palästen) einen neuen Versuch des Aufrüttelns in Deutschland wagte, glücklicherweise mit wesentlich kühlerem Kopf, wozu er im Danton genauestens die jeder Revolution innewohnende Tragik des Ausuferns von Gegengewalt studierte, was ihm später als Abkehr vom Revolutionsgedanken unterstellt wurde.

Als Mönch von verdrängten Leidenschaften gejagt

Das erste Stück: Martinus Luther (Fassung von John von Düffel) gibt nur zwei kurze Einblicke in Luthers Leben, einen, wo er jung ist, sich gegen seinen Vater und die Kirche mit all ihren Ritualen auflehnt, seinen Besitz veräußert, ins Kloster geht und ein Mönch wird, der von den Teufeln seiner eigenen Leidenschaft gejagt wird und den zweiten, wo er alt ist und in einer privaten Szene mit einem studentischen Heiratsbewerber seine eigenen kleinen und größeren Teufelchen herauslässt und seine gewalttätig-autoritären, Frauen- und kinderverachtenden, sowie antisemitischen Ansichten kund tut. Die Spannung darin wird gehalten, indem ein jüngerer und ein älterer Schauspieler zwischen dem ersten und zweiten Teil die Rollen tauschen.

Die Frau als die abgewehrte Versuchung

Eine Frau (Chiaretta Schörnig, sehr verspielt im ersten Teil, sehr brummig und beißend im zweiten) spielt in beiden Stücken mit, im ersten Teil als die abgewehrte fleischliche Versuchung, die ihn immer wieder in grauenhaften Bestrafungsphantasien überfällt und in seinen Gedanken Teufelsgestalt annimmt, (glücklicherweise nicht in der Kostümierung), später ist sie, die nunmehr im Haushalt gezähmte Wollust, mit ihrem verpfuschten Leben unzufriedene Frau des Luther, ewig nörgelnd, aber doch zu ihm aufblickend, in seine autoritär-hasserfüllten Ansichten einstimmend, die traditionelle Frauenrolle erfüllende Putz-, Haus-, Kinderfrau, sowie Gebärmaschine.

Das Stück lebt durch die Schauspieler, Marvin Rehbock und Markus Voigt, den großen Charakterschauspieler im Stralsunder Ensemble. Beide schaffen den jeweiligen Charakter des Luther, der zu Anfang trotzig und nachher konservativ angelegt ist, so zu spielen, dass ein innerer Zusammenhang der Charaktere durch die Jahre und Zeit bestehen bleibt. Die große zeitliche Lücke, die das Stück lässt, ist bei einer so bekannten historischen Figur nicht schlimm, das lässt Fragen offen, so hat der Zuschauer etwas zum Nachdenken. Ein unbedingt empfehlenswertes Stück!

Dantons Tod als Ein-Frauen-Stück

Einen Tag später laufen in Greifwald die nächsten zwei Stücke, zunächst „Dantons Tod“ als Preview: Hier hat sich Anett Kruschke im Monolog versucht, die zunächst Julie ist, die 15-jährige neue Frau des Dantons, die hier sehr aufreizend, wie eine aus einer Sendung für Showbuiseness oder aus einem Bordell entsprungen zu sein scheint, später, durch Abnehmen einer Langhaarperücke, werden von ihr sämtliche weiteren Figuren gegeben. Hier müsste an der Umsetzung noch etwas gefeilt werden, sie spricht noch zu schnell, ihre Gefühle wirken oft noch unecht und hysterisch, statt leidenschaftlich, es wird zu viel gebrüllt. Man staunt allerdings über die formale Kunstfertigkeit, mit der Anett Kruschke die Wechselbäder der Emotionen, Stimmen, Stimmungen, Wortgefechte und dramatischen Sequenzen hinbekommt. Das ist durchaus virtuos.

Leonce und Lena als Farce

Leonce und Lena wird von Beginn an sehr politisch aufgemacht. Es beginnt mit einer Aufzählung von Ungerechtigkeiten, wie wir sie heute vorfinden, zT wortgetreu den ersten Seiten des von Büchner im Hessischen Landboten veröffentlichten Pamphlets „Friede den Hütten – Krieg den Palästen“ nachempfunden, nur, dass statt Fürsten, die sich Volksvermögen mässten, der Lidl-Besitzer Dieter Schwarz mit seinen aktuell 37 Milliarden auf dem Konto und andere heutige Reiche ( Die 8 reichsten Menschen der Welt besitzen genauso viel Vermögen wie 3,5 Milliarden Menschen zusammen) hervorgehoben werden und dass im Weiteren König Peter aus dem Lande Popo im Merkelkostüm spricht.  Das ist zu köstlich und führt zu kabarettreifen Slapsticks, alle original von Büchner.

Oberschicht-Hippys mit Perückenhaar

Leonce und Valerio werden als zwei übertrieben gestylte Oberschicht-Hippys (mit hüftlangem Perückenhaar) gegeben, singen Blumenlieder auf einer Glitzerbühne, wo im Hintergrund Gräser im Wind spielen. Sie pflegen, getreu dem Textoriginal, den Müßiggang, klagen über Langeweile und haben ihre eigenen Ansichten über die Arbeit:

Arbeit ist Selbstmord, der Selbstmörder ein Verbrecher, ergo: Wer arbeitet ist ein Schuft!   Einzig nach Italien strebt ihr Sinn, wohin sie dann auch aufbrechen, als dem Prinzen eine Heirat droht, und sind im damaligen Deutschland nach „einem halben Tag über ein Dutzend Ländergrenzen gewandert“.

Sprachwitz und Kakao

Büchner hat dieses parodistische Stück äußerst witzig angelegt, sehr stark verdichtet und seine Hauptpersonen, in ihrer Zeit herrlich durch den Kakao gezogen. Es gibt viel Sprachwitz.  Diesen Witz wiederzugeben, ist ein sprachspielerisches Kunststück, weshalb es lange Zeit als unspielbar galt. Die Schauspieler in dieser Aufführung schaffen es leider nur zum Teil, das Ganze überzeugend geben. DIe Darsteller des Leonce und des Valerio sprechen und agieren nicht immer überzeugend, oft sind sie einander zu ähnlich, mal sprechen und handeln sie zu langsam, mal zu schnell. Ihre Bewegungen wirken gewollt, Sprache, Kostümierung, Requisite passen manchmal nicht zusammen, die Übergänge zwischen den Szenen sind zu wenig deutlich, in den Momenten schnellen Agierens kommen die Sprachwitze nicht zur Geltung. Die Frauen treten recht kurz auf, aber auch sie bekommen kein echtes Leben in ihr Spiel. Beide Spielpaare unterscheiden sich zu wenig voneinander, spielen ihre Figuren zu gleichartig, machen die Problematik um die es geht, nur zT deutlich,  dadurch bekommt das Stück zu wenig Kontur, wirkt zerstückelt, der Witz verliert sich, sehr schade, da es im Grunde so gut angelegt war.

Wie eine Bombe

Die Verkleidung des Königs Peter in Angela Merkel aber wirkt wie eine Bombe. Wie eine aus dem Stück herausgerissene Kabaretteinlage, die vom Regisseur dazwischen gefügt und erfunden wurde. Tatsächlich ist das aber alles Büchner-Originaltext, ich hab das nachgeprüft! Die köstlich-verwirrten König-Peter-Merkelworte über die leidigen Untertanen passen wunderbar in die augenblickliche Tagespolitik!  Ach wenn man sich doch seine Untertanen wählen dürfte!

Jubel und Wut

Jüngeres Publikum bejubelte das Stück, die zur Premiere geladenen Gymnasiasten fanden offenbar die eigene Welt darin gut widergespiegelt. Eine Gruppe älteres Publikum draußen erging sich in Wutäußerungen: Es sei eine Frechheit, es hätte fast gar keinen Originaltext Büchners gegeben, die  Anti-CDU-Politik darin sei unlautere Propaganda usw.

Das Stück hat die Generationen gespalten und provokant gewirkt, wurde nicht wie ein romantisches Stück aufgeführt.

Anregung sich mit den Zuständen zu beschäftigen

Was bezweckt wurde mit diesem Wochenende (1 x Luther, 2 x Büchner), kann als gelungen angesehen werden: Eine Anregung, sich mit dem Kampf um Wahrheit und Gerechtigkeit in der deutschen Geschichte bis in die Gegenwart hinein zu beschäftigen, das Programmheft von „Leonce und Lena“ fasst noch einmal alles zusammen, sehr gute Infos zur sozialen Lage in Deutschland und das Herausstellen des Ausspruchs Büchners, dass die Beziehung zwischen Arm und Reich das einzige revolutionäre Element in der Welt ist. Dazu gab´s ein Gedicht von Brecht:  Lasst Eure Träume fahren: Lasst eure Träume fahren, dass man mit euch eine Ausnahme macht…Die Esser sind vollzählig, was hier gebraucht wird, ist Hackfleisch! Das soll euch aber nicht entmutigen!

 

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