Metamorphosen – Filmrezension

Seht uns an! Im Schwarzweißfilm »Metamorphosen« herrscht Endzeitstimmung wie nach einem Atomkrieg, es wird aber keine raffinierte Story vom Weiterleben erzählt, sondern der junge deutsche Dokumentarfilmer Sebastian Mez streift durch die Gegend um den Karatschai-See im Südural, entlang dem Fluss Tetscha – ein Gebiet von rund 23.000 km² – ist eine der am stärksten radioaktiv belasteten Zonen der Erde: Durch den regulären Betrieb sowie durch mehrere, zum Teil drastische Störfälle in der kerntechnischen Anlage Majak, die seit 1948 in Betrieb ist, wurden Wasser, Erde und Luft sowie die Menschen dort einer permanent erhöhten Strahlung ausgesetzt.

Radioaktivität wie in Hirososhima

Nirgendwo auf der Welt sind Menschen seit langer Zeit einer ähnlich hohen Strahlendosis ausgesetzt, hat Mez recherchiert, und sich daraufhin vom ursprünglichen Vorhaben verabschiedet, in Fukushima zu drehen.
1957 gab es in der Anlage Majak den drittschwersten Atomunfall der Geschichte. Es wurde Radioaktivität in einer Größenordnung gleich nach Hiroshima und Tschernobyl freigesetzt. In der Anlage gibt es bis heute ständige Lecks und kleinere Unfälle. In »Metamorphosen« folgt die Kamera einem Mann mit piependem Strahlenmeßgerät auf einem Spaziergang zum See. Das Gerät schlägt anfänglich bei 0,29 Millirem pro Stunde aus, am Ende mißt es 3900. Dort wohnen Menschen, es gibt es einen Kindergarten, die 50jährigen sehen aus wie 80 und alle haben schwere chronische Krankheiten.

Wie Kaninchen 

Der Film vermittelt einen Ausblick in eine Zukunft, in der man nichts mehr aufbauen können wird wie nach früheren Kriegen. Verfallene Häuser in scharfkantigem, kontrastreich montierten Schwarzweiß. Einer erinnert mit einem alten Tanz an Alexis Sorbas, auch er ist extrem schnell gealtert, hat Asthma, Diabetes, Rheuma. »Wir leben hier alle wie die Kaninchen«, sagt eine krumme alte Frau. »Wie die Versuchskaninchen!« Als Elfährige grub sie nach dem GAU das Gemüse um und wäre Tage danach fast gestorben. Die Erinnerung an die damaligen Qualen – 41 Grad Fieber, Erbrechen, blutiger Durchfall – bringt sie noch 50 Jahre später zum Weinen.

Die zufällig Übriggebliebenen

Der Film reißt das Leiden der Einzelnen nur an. In langen Einstellungen zeigt er kluge Gesichter der Mahnung und Ahnung. Seht uns an, sagen diese stummen Gesichter, wir sind die zufällig Übriggebliebenen. Die Schönheit der Einöde um uns herum ist vergiftet. Schaut ganz genau hin, was überall da geschehen kann, wo Atomkraftwerke stehen.

Nicht vergessen

»Metamorphosen« schafft es als Dokumentarfilm, an Tarkowski zu erinnern. Der soll mal von einer Bäuerin, die zufällig einen seiner Filme gesehen hatte, gefragt worden sein: »Woher kannten Sie meine Geschichte?« Die Menschen in dieser zerstörten Landschaft mit Birken wollen und sollten nicht vergessen werden.

»Metamorphosen«, Regie: Sebastian Mez, D 2013, 84 min, 11., 12.2.2013

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