Vor dem Ruhestand von Thomas Bernhard Rezension

Theater Vorpprommern, Greifswald 29.10.09, Wiederaufnahme

Eine deutsche Geschichte, die in die Tiefe geht

Vor dem Ruhestand

Die Stube eng, schmuddelig, vollgestellt, mit dunklen, verschlissenen Möbeln, ein Klavier mit alten Familienfotos links hinten, im Vordergrund ein Bügelbrett, an der Wand ein hoher Schrank mit leerer Vase, in Front der Blick auf ein kleines Verandafenster in ein dunkles, nur wenig beleuchtetes Draußen, ein alter schon abgewetzter Lehnstuhl rechts, der wie ein Thron wirkt, links ein Rollstuhl mit Kissen, auf den sich bei Beginn des Stückes eine junge Frau im Dirndl setzt. Die junge Frau scheint zu frösteln, sieht traurig aus, blickt hinunter, strickt. Eine ältere Frau erscheint durch eine der beiden mit Eisen beschlagenen Türen, die rechts und links aus der Bühne führen, mit schweren doppelten Eisengriffen versehen, Feuerschutzräumen oder Bunkern ähnlich. So wird das Drinnen von dem Draußen streng geschieden. Drinnen läuft eine andere Zeit. Die ältere Frau, Vera, die Schwester des “Gerichtspräsidenten und Abgeordneten”, in Wahrheit eines ehemaligen SS-Offiziers, Rudolf Höller, der als stellvertretender Kommandant eines Konzentrationslagers zehn Jahre versteckt gelebt hatte, himmelt ihren Bruder an.

Die Sprache des Hasses

Sie beginnt seine Robe zu bügeln, dabei schwelgt sie in Erinnerungen, die ihr zu Himmlers Geburtstag einfallen, den sie am heutigen Tage, “wie jedes Jahr”,  feiern wollen. Schon mit ihren ersten Worten enthüllt sie ein gnadenlos eugenisch geprägtes Menschenbild, indem sie sich über ihre taubstumme Haushaltshilfe lustig macht. Als die jüngere aufblickt und ihr zornig entgegenwirft: …”ich weiß, wozu du sie brauchst, sie ist das ideale Objekt für deine Geisteskälte” , ruft die Ältere: “Wenn wir das Mädchen nicht hätten, müsstest Du sofort in eine Anstalt, vergiss das nicht!”  So entfaltet sich eine Sprache des Hasses, die Bernhard wie kein anderer zu beschreiben und zu entziffern versteht, da er sie selbst erlitten hat. Die Ältere besitzt ein herbes Gesicht, unterstützt durch eine streng nach hinten gekämmte Haarfrisur, Haare wie angeklebt, mit zwei aufgeringelten Zöpfen rechts und links am Kopf. Ihr Gesichtsausdruck schwankt zwischen übertriebener Künstlichkeit, Kitsch, Sentimentalität und Bedrohung. Kein einziges echtes Gefühl. Aus ihrem Mund schießen die Worte wie Pfeile heraus. Drohend und voller Häme. Dahinter wird nur ganz selten die Angst sichtbar, die sie abwehren muss, etwa wenn sie unruhig hin und her läuft, weil gleich der Bruder kommt oder wenn von dem Vater die Rede ist. Die junge Frau im Rollstuhl, bald wird klar, es handelt sich um die jüngere Schwester, Clara, spricht oft mehr für sich: “…In diesem schrecklichen Haus, in diesem schauerlichen Haus”, greift aber auch an: “Du lügst! Du hast immer nur gelogen! Du bestehst nur aus Lügen. Selbst die Musik habt ihr zerstört, wenn ihr sie gespielt habt!”  Die ältere kontert in bester LTI-Sprache: “Du bist zersetzend. Du bist eine gefährliche Terroristin, ein Segen, dass du nicht aufstehen kannst!”

Wahrheiten wie Gift

Wahrheiten, sonst tief im Kopf verschlossen, drängen hier wie Gift in die Dialoge und werden zu Messern, mit denen sich die Protagonisten an die Kehlen gehen. Eine Hölle zwischen den zwei eisenbeschlagenen Türen, in denen die Nazis ihre Familien und sich einsperren, damit sie nur ja keiner aufspürt. Thomas Bernhard, Meister des Wortes, Meister im Aufdecken faschistoider Hintergründe, hat hier wieder mal bewiesen, wie unglaublich treffend er die Hölle schildern kann, die der Faschismus in den deutschen Seelen hinterlassen hat. Der Gerichtspräsident und Abgeordneter legt an Himmlers Geburtstag die SS-Uniform an und wird sentimental, da ihm unklar vor dem Ruhestand graut. Dank seiner Schwester, mit der er eine Inzestbeziehung führt, muntert sich seine trübe Stimmung im Blättern alter Fotoalben auf, die ihm vor Augen halten, wie gut sie es hatten, als sie in hohen Ehren der NS-Zeit standen.

Selbstgefälligkeit, Brutalität und Hass

Aus jedem Wort trieft Selbstgefälligkeit, Brutalität und Hass, selbst wenn sie lachen oder zu weinen versuchen. Hass auf alles Schwächere und auf alles andere und im Grunde auch auf sich selbst. Die Eltern werden zitiert, denn man hält das Erbe an sie hoch, in dessen altem Haus sie leben. Aber da ist auch die Strenge des Vaters, die sie erinnern, fürchten, bewundern, nie verarbeitet haben. Auch Rudolph wird gefürchtet, das scheint sogar die Basis von Veras Bewunderung zu sein, einmal richtet er tatsächlich die “Dienstwaffe” auf seine Schwestern, präsentiert den hinter einem Bild versteckten Karabiner: Wenn ich könnte, wie ich wollte…, dann lacht er schallend, sonnt sich in seiner Todesmacht. Doch holen ihn die Gespenster ein, er bricht zusammen.

Die Axt für das gefrorene Eis

Kein Dialog ohne Ambivalenz und Doppelbedeutung. Kein Dialog, der mich nicht tief Innen trifft, kein Dialog, der mir nicht, wie Kafka es von der Literatur verlangte, plötzlich zu der Axt für das gefrorene Eis wird. Kenn ich das nicht alles? Ist es nicht meine eigene Großtante, die ich dort sehe, wie sie den SA-Funktionär, meinen Großvater, vor dem sie gemeinsam zitterten, wie sie mir oft genug erzählte, gottähnlich anhimmelt? Ist es nicht mein Großvater, der da die Uniform trägt und stolztriumphierend-drohend um sich blickt?  Auch er ging freiwillig gleich 39 und “opferte” sich auf, auch er war ein „herzensguter“ Mensch, von dem sie sagten, er habe immer nur das Beste gewollt. Nicht er,  andere hätten, sich bereichern, sich reinwaschen wollen, seien feige gewesen, während er, ein “gläubiger Nationalsozialist”, wie meine Mutter mir kürzlich mit Augen voller Hass gegen die Kommunisten, die damals auch “sehr aggressiv” gewesen seien, erklärte. Und hat er nicht nach 45 teilgehabt an dem Netz, was gesponnen wurde um zusammenzuhalten, was verloren und zerschlagen schien? Indem er alte SA-Freunde und deren Angehörige verteidigte, als nun schon wieder Rechtsanwalt und “ehrwürdiger” Regierungspräsident und Rechtsanwalt in Stade? Hatte er nicht seine ganze Karriere den Nazis zu danken? Mein Vater hatte auch seine Gewehre im Schrank, zeigte sie stolz, drohte und schoss damit lachend, wenn er betrunken war. Auf nackte Mädchenposter im Keller.

Haben wir nicht alle solche Väter?

Haben wir nicht alle solche Väter, Großväter, Großtanten, Großonkel, Mütter, Schwiegermütter, Schwiegerväter und deren Nachkommen, die ihnen ähneln? Und müssen auch wir uns schützen vor dieser Erkenntnis und können sie manchmal nur in erneuter Kälte abwehren? Ach, es ist die gleiche Sprache, die mir immer so ungerecht, so wenig für mich als kleines Kind passend erschien, vor der ich mich in meiner Kindheit so sehr fürchtete, die hier von der Bühne tönt. Es ist der Hass, den man sie lehrte in den Schulen des Nationalsozialismus, als die Jugend erzogen und zurechtgebogen wurde, die die stahlharte genannt wurde. Und genau wie Vera in dem Bernhard-Stück als Schwester, sind diese Eltern, die Kinder des Nationalsozialismus, heute noch gezwungen, um ihre eigenen mörderischen Eltern zu verteidigen und sich selbst vor der Erkenntnis, dass sie mörderisch waren, zu schützen, ihre eigenen Kinder, wie Vera ihre Schwester Clara, zu hassen, sie zu beleidigen, zu bedrohen, sie zu verdammen, ihnen Schuld zuzuweisen, immer wieder, sie zu verstoßen, zu verurteilen, zu bekämpfen, so, wie es hier die beiden älteren Geschwister mit der jüngeren tun.  Warum tun sie es? Rächen sie sich für das, was ihnen einst angetan wurde? Leider an den Falschen. Das ist Faschismus! Eine glänzende Analyse!

Lachen statt fürchten

Wieder mal aus Österreich. Hier scheint der Faschismus in den Alltag geradezu eingraviert zu sein. So lernen die Schriftsteller das Provozieren und Zuspitzen. Die Schauspielerin der Vera, Gabriele Püttner, vom Theater Vorpommern, möchte ich fragen, wen sie gekannt hat, der diese subtile Gewalt in Mimik und Gestik so gut ausgedrückt hat? Sie kann es, als hätte sie es ewig gehört. Genial, wie sie noch im geheuchelten Schluchzer Gewalt gegen andere unterbringt, ihr Augenblitzen hätte Heinrich Mann gefreut und seinem Dietrich alle Ehre gemacht, ihr Gesichtsausdruck erinnert an die Angst, die man als Kind ausstand und das Fazit des Ganzen: Faschismus tötet alles Lebendige, auch die Seele in den Menschen selbst. Mit Folgen, die wir noch heute in uns haben. “Vor dem Ruhestand”, 1980 in Bochum uraufgeführt, hat Thomas Bernhard  “eine deutsche Komödie” genannt, denn wir sollen lernen, über diese Gespenstermenschen zu lachen, anstatt uns weiterhin vor ihnen zu fürchten und darum immer wieder alles zu wiederholen.

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