Der Schuss in der Neuköllner Oper – Rezension

Zu seinem eigenen Teil der eigenen Geschichte spürt man eine hohe Verantwortung und hat einen großen Anspruch, wenn man sie erkenntnistheoretisch zu durchdringen und künstlerisch zu verarbeiten sucht. Die Neuköllner Oper, als linke Volksoper selbst ein Produkt der 68er Zeit, jahrelang nomadisierend auf Plätzen und in Kirchen spielend, hat sich nun als „Alternatives Musiktheater“ der Aufgabe gewidmet, die Geburtsstunde der Neuen Linken aus dem Schmerz seines ersten Opfers heraus zu erklären. 

Dazu hat sie sich ein „freies Künstlerkollektiv, eine unkonventionell arbeitende deutsch-isländische Musikgruppe: „Ensemble Adapter“ sowie „Theaterleute gesucht, die das Prozesshafte betonen“. Herausgekommen ist etwas, das auf keinen Fall „Dokumentarisches Theater“ sein sollte (so Glocksin im Programmheft).

Kein Musical, kein Singspiel, nichts Komödiantisches, sondern eher ein nächtlicher Alptraum, indem eine Vorschau auf das, was nach dem Schuss kam, passend zum 50.-jährigem Todestag der Ermordung von Benno Ohnesorg, an der Neuköllner Oper gegeben wird.  Premiere war am 2.6.

Mit Diskussionen und begleitenden Veranstaltungen

Am 10. Juni um 17.30 Uhr diskutierten vor der Aufführung Hans-Christian Ströbele (MdB), Ulrich Pelzer (Schriftsteller), Lutz Taufer (ehem. RAF-Mitglied), Constanze Kurz (CCC-Sprecherin) und Anna C. Loll (freie Journalistin) moderiert vom Tagesspiegel-Ressortchef Gerd Nowakowski über das Thema „Schuss & Echo. Was bringt das Erinnern an den Tod Benno Ohne-sorgs?“.

Im Publikum viele ergraute Zeitzeugen, die von Gerd Nowakowski zu Beginn eindringlich darauf verwiesen werden, dass,  wenn nachher das Mikro herumgegeben würde, keine Statements, sondern nur echte Fragen an die Podiumsteilnehmer zugelassen seien. Irritation im Publikum, wovor hat man da vorne Angst?

Hat es damit zu tun, dass man vor Beginn die stadtbekannte linke Politaktivistin Eva Quistorp herumlaufen sah und eine Petition im Namen des Ohnesorg-Sohnes verteilen, in der sich gut fundierte  Forderungen an den Senat befanden, zB. Eine Straße nach ihm zu benennen, Entschädigung an die Familie zu zahlen und sich endlich, 50 Jahre nach dem Todesschuss, der behördlich angeordneten Polizeiprügelorgie, einmal offiziell zu entschuldigen. Von diesen Forderungen war nachher leider nicht mehr die Rede.  Quistorp ging nach der ersten Viertelstunde kopfschüttelnd.  Stattdessen sprach Lutz Taufer von den Favelas in Brasilien, Frau Loll davon, dass die jungen Leute heute egoistischer seien, viel Angst hätten, Ullrich Pelzer in einer mit leider von vielen Ehms und Ähs durchsetzten und mit modernistischen Fremdworten (postfordanisch) gespickten Sprache davon, wie man heutigen Problemen künstlerischen Ausdruck verleihen könne , und plötzlich war er sich mit Frau Loll einig, dass man heute vom Ende aller linken Bewegungen sprechen müsse.  Das Publikum blieb dazu stumm, bewegungs- und ratlos.

Constanze Kurz und Hans-Christian Stroebele widersprachen allerdings in ihren Beiträgen, aber nicht explizit ihren Mitrednern. Sie blieben jedoch beim Thema, sprachen konkret, die Atmosphäre war ein wenig aufgereizt, nervös.  Es war eine Stimmung, wie von gebrochenen Flügeln.  Daher fanden sich die Worte schwer.  Stroebele erzählte von damals, das war anregend und spannend, er betonte, wie stark die Repression vor der Oper damals war und nachher der revolutionäre Geist aufbrach, der sich mit internationalen Bewegungen verband,  da es in Deutschland keine Vorbilder mehr gab.

Er betonte auch die Durchdringung aller Gesellschaft mit Nazidenken, Naziverschweigen und Naziverurteilen.  Er sprach die Gewalt in Kinderheimen und in den Familien an, die Jugend suchte und hatte einen starken Veränderungswillen, der im Nachhinein eine ganze Kultur, aber auch die Geistes- und Sozialwissenschaften positiv beeinflusst hätte.   Kurz sprach von heutigen Prügelorgien mit Todesfolge (Genua),  prangerte das Demoverbot in Hamburg an,  sprach von heutigen starken Bewegungen, sie erörterte die Auswirkungen des Ohnesorg-Todes auf die nachfolgende Zeit, die damaligen Bewegungen bis heute. Beide berichteten durchaus packend aus ihrem eigenen Erfahrungsschatz.

Am Ende begeisterte Stroebele das Publikum mit dem Schluss-Satz, dass es damals wie heute gilt Verantwortung zu übernehmen und er sich wünsche, dass diese zu einer revolutionären Umwandlung der Gesellschaft führen würde.  Das rief  dann Standing ovations hervor.

Eine Stunde später fand sich das Publikum wieder zusammen.  Dazwischen hatten sich Trauben um die Bücherauslage des Buchladens „schwarze Risse“ gegeben, eine große Auswahl von Büchern gab es zum Thema, die Menschen stürzten sich darauf. Ich kaufte mir das neueste Buch von Uwe Soukup: „Ein Schuss, der die Welt veränderte: Der 2. Juni 1967“ es besteht aus Massen an Augenzeugenberichten, ich las es in derselben Nacht noch durch.

Ohne den Mord an Benno Ohnesorg wäre die Faschisierung der damaligen BRD nicht so stark offenbar geworden, die danach entstehende Bewegung  hat eine enorme Kraft zur Veränderung entwickelt, ist aber auch gebrochen worden.

Dann begann das Stück. Man war nun in eine andere Oper versetzt, nämlich in die, die damals für das Herrscherpaar die Zauberflöte gab, während draußen die Polizei- und Prügelmeute losgelassen wurde. Gut angezogene Männer und Frauen formieren sich auf der Bühne, konträr zu ihrem Outfit, Demoteilnehmer, wie sie sich das Bürgertum so vorstellt: Leute, die militärisch formiert, extrem laut, hart, steif und fanatisch herumschreien. Gleichzeitig wurden hinten, wo kurzzeitig ein Orchester sichtbar wurde und sehr originelle Zisch- und Grusel-Geräusche mit Instrumenten hervorrief,  Filmaufnahmen sichtbar.

Körper, wie Negativfiguren ausgeschnitten

Dort laufen Menschen in den Straßen vor der Oper, die wie aus den Fenstern der Oper heraus gefilmt scheinen. Die Körper sind dabei wie Negativfiguren ausgeschnitten und in ihnen sieht man die Originalszenen des damaligen Tages. Die Film-Figuren zeigen lebendige, tanzende Körper,  Unbewaffnete. Die Sequenzen enden mit einer Szene, in der einer den Toten in Art einer Pieta´-Figur, dem Publikum entgegenträgt, anklagend. Vorn auf leerer, weißer Bühne spielen ein schwarzbehoster Opernsänger im Seidenhemd und eine Frau im weißen Brautkleid Ben und Christa, wie sie grad heirateten und wie er sie nachhause schickt, da sie schwanger ist und er ihr nachruft, in einer Stunde nachzukommen.

Erst zusammengeprügelt, dann erschossen

Nach diesem Anfang spielt das weitere Stück in der meist abgedunkelten Wohnung der Ohnesorgs, (es ist dieselbe weiße Bühne der nachgestellten Staatsoper) wo die Frau sich angstvoll in Ecken drückt oder im Bett wälzt, während draußen im Hinterhof der Krummen Straße (dies wird nur durch Musik und Gesang gestaltet) ihr Mann erst zusammengeprügelt, dann erschossen in seiner Blutlache liegt, zwei Stunden in keinem Krankenhaus Aufnahme findet und dem dann Toten, am Ende aus dem Schädel die Einschussstelle herausgesägt, als Beweisstück vernichtet und der Todeszeitpunkt nachverlegt wurde.  Ein Staatskrimi, der die wartende Ehefrau mit dröhnenden Klang-Alpträumen verfolgt.

Durch die Augen in den Schädel gehämmert

Dann geschieht etwas hinten auf der Leinwand. Dort agiert nun pantomimisch ein weiteres Schauspielteam, man erkennt die einzelnen nicht, denn alle sind mumienmäßig an Körpern und Köpfen mit weißen dicken Gipsbinden umwickelt,  aus denen schwarz-blutunterlaufende Augen blicken, sie haben schmale, schon fast zerfallene Münder, Einschusslöcher in den Köpfen, Striemen an den Körpern, und irre, wie schon erstorben leere Todesblicke.  Sie erinnern an Strahlenopfer,  aber auch Geisteskranke in vormaligen Zeiten, da ihnen in einer Szene Nägel durch die Augen in den Schädel eingehämmert werden. Filmsequenzen dieses Teams begleiten die weitere Aufführung mit äußerster Brutalität, dabei fesseln die Mumien sich gegenseitig, überwältigen sich, scheinen einander zu foltern, zu quälen, bewerfen sich mit Erde, das alles spielt sich in einem kellerartigen Bunker ab und erinnert an Horrorfilme, die in zukünftig plutoniumverstrahlten Welten, tief unter der Erde spielen, man würde das keinem Kind zeigen können.

Die verletzten Mumien langsam in Rächerrolle

Die Filmszenen beherrschen mit zunehmender Angst der Christa Ohnesorg, die sich in die Ecken drückt, mehr und mehr das Theatergeschehen. Jetzt formieren sich die verletzten Mumien zu einer Gymnastiktruppe, erheben sich ruckartig in den Vierfüßlerstand, scheinen sich käferartig zu formieren und alle sehen aus wie nach Wochen aus dem Grab gestiegene Halbverweste, die langsam aus dem Opferstatus hervor und in eine Rächerrolle hinein treten.  Die weiß Umwickelten sollen sicher verletzte Studenten sein, das Winden und Quälen vielleicht ihre Schmerzen beim Zusammengeprügeltwerden.  Vielleicht auch nur alles Benno in den verschiedenen Momenten seines Leidenswegs. Aber das Bild, wie ich finde, ist nicht stimmig, die Opfergesichter  werden grausam und entstellt gezeigt, nicht die Gesichter der Täter, wie man sie auf den historischen Fotos sehen kann, wo sie die Zähne fletschen beim Prügeln.

Zu Monstern geworden

Es wird nicht klar, wer genau diese da sind. Und so wird das Bild transportiert: Das jene Friedliebenden da vor der Oper im Kessel, durch das, was ihnen geschah, ihre Verletzungen und durch den Schuss,  zu Monstern geworden sind.

Was die Medien in Szene gesetzt haben

In dem Sinne geht’s weiter: Nun tritt Gunda auf, die sich aus der „Königin der Nacht“ langsam hin zu einer Gudrun Ensslin entwickelt, die ihr Kind abgibt, da sie es bei ihrem revolutionären Kampf nicht gut gebrauchen kann. Sie will es Christa andrehen, die es nicht haben mag. Die Szene wirkt unzusammenhängend und nimmt kritiklos das als Wahrheit an, was die Medien seit dmals in Szene setzen, einen angeblich kaltschnäuzig-menschenverachtenden Hang der 68er, ihre Kinder möglichst loszuwerden, dieser gipfelt darin, dass ein kleines Mumienbaby an ein Raf-Emblem (Maschinengewehr) wie an ein Kreuz genagelt ist, das in Flammen aufgeht, dann verkohlt und mit den Flammen die ganze Republik in Brand setzt, dies wird mit einer hochgezogenen D-Fahne mit Adler symbolisiert, deren verkohltes Oberteil sich vier Protagonisten langsam über ihre Köpfe ziehen, und damit eine Art schwarze KuKluzKlan-Leute darstellen oder an Frauen im Tschador erinnern, die Sprengstoffattentate verüben und nun alles  verbrennt, bis das verkohlte Baby herunterfällt.

Kritiklos unterstellter Kindsmord

Derartig assoziatives Theater ist ein großes Wagnis, hier ist es nur zum Teil gelungen, was subjektive Gefühle widerspiegeln soll, wird hier zur Denunziation, Gegner und Opfer sind nicht voneinander zu trennen, vermischen sich, Horrorelemente mystifizieren und ästhetisieren Gewalt, die Idee des verkohlenden Babys, der Raf zugeschoben, ist der medialen Propaganda auf den Leim gegangen, denn es stimmt so nicht, das zeigt die genauere Recherche, in den von Felix-Ensslin herausgegebenen Briefen seiner Eltern zeigt sich eine starke Liebe zu ihm, die erst durch die unverhältnismäßige Strafe (3 Jahre ohne Bewährung für die Mutter ohne Möglichkeit ihr Kind zu sehen, allein für eine symbolisch gemeinte Sachbeschädigung, das war weit vor der Gründung der Raf) erst seine Beschränkung erfuhr. Desgleichen beschreiben Jutta Ditfurth in ihrer Meinhofbiografie und Katriina Letho in ihrer Dissertation auch das Ringen von Ulrike Meinhof um ihre Kinder). Leider wird hier das stärkste Argument gegen revolutionäre Frauen kritiklos aufgenommen, das schon Christa Wolf in ihrer Ausdeutung der Geschichte der Medea zeigte, den ihnen immer wieder gern unterstellten Kindesmord.

Josephine Langer als Chris, die bei sich bleibt

Eine sehr intellektuelle Aufführung mit zT etwas schwer verständlichen Assoziativ-Zusammenhängen, deren Haupthandlung, das Leiden der Christa Ohnesorg beim Warten auf ihren toten Mann, eine interessante neue Perspektive war. Sie ist etwas für die Liebhaber nordisch-neuer Musik, diese ist grandios, ebenso wie auch das wunderbare Spiel der noch sehr jungen Josephine Lange als Chris, die sehr bei sich selbst bleibt, sehr glaubwürdig spielt, und dem ganzen Stück eine Art roten Faden, eine eigene Geschichte gibt, von der bisher noch kaum je etwas zu hören war.

Benno Ohnesorg ist ein Symbol und darüber vergisst man oft, dass er auch ein Mensch war, diese Aufführung erinnert ein wenig daran, sie hat Schwächen, ist aber eine Anregung, sich mit diesem Thema erneut zu beschäftigen.

Inszenierung: Fabian Gerhardt

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