Deutschstunde im BE Berliner Ensemble – Rezension

Im Berliner Ensemble hat Christoph Hein Deutschstunde „fürs Theater eingerichtet“, den Roman dramatisiert, der erstmals in den 60-er Jahren die psychologische Traumatisierung durch den NS-Faschismus zum Thema hatte.  Das Kind eines Polizisten hatte sich in seinem Heimatdorf mit einem Maler angefreundet, der ihm eine geistig freiere Welt eröffnet hatte und den er lieb gewann. Als sein Vater diesen Maler wegen Malverbot überwachen soll, warnt der Sohn oftmals den Maler und teilt mit ihm gegen seinen Vater viele Geheimnisse.  Gleichzeitig versucht der Vater ihn zum Spitzel gegen den Maler zu machen.

Als der Sohn nach 45 Zeuge wird, wie der Vater heimlich weiter die Bilder des Malers verbrennt, weil er meint, die Führerbefehl kann nicht falsch gewesen sein, befällt den Sohn eine Psychose, er beginnt dem Maler, der einst sein Freund war, Bilder zu stehlen, versteckt sie und sagt immer wieder zur Begründung, er wolle sie in Sicherheit bringen.  So schleppt man ihn ins Jugendgefängnis und dort gibt’s auch Unterricht und wie es so ist, sollen die Jungen einen Aufsatz schreiben. Das Thema: Die Freuden der Pflicht. Darüber muss der Junge so lange nachdenken, bis die Stunde vorbei ist und sagt dann, dass er leider erst beim Anfang gewesen sei, so viel habe er darüber zu schreiben. So setzen sie ihn in seine Zelle, er bekommt Hefte zugeteilt und darf ein Jahr lang seine Erinnerungen aufschreiben. Die Freuden der Pflicht, dazu war ihm sein Vater eingefallen und mit ihm kamen alle Erinnerungen in ihm hoch.

Manchmal noch Häftlinge, dann schon Dorfbewohner

Auf der Bühne sitzt vorne rechts der Junge, der an seinen Bleistiften knabbert und hinter ihm auf grauschwarzer Bühne werden die in einheitlichen Arbeitsmänteln steckenden  Mithäftlinge langsam zu den Protagonisten des Dramas.  Eine Uhr tickt. Die Häftlinge beginnen zu tanzen, sie schweben, sie spielen und geben den Rhythmus vor. Sie beginnen vor dem Jungen ein Eigenleben zu führen. Sie tun dies auf Löffeln und anderen Gegenständen, sie trommeln, kündigen eine neue Szene an, manchmal sind sie noch die Häftlinge in der Häftlingswerksatt, dann wieder die Dorfbewohner im Dorf des Malers.

Mit dem Rad in die Sackgasse seiner Mission

In der linken Ecke sieht man ein Telefon, dort ist die Amtsstube und Wohnung des Vater-Polizisten, einem von Pflichtgefühl aufgeblähtem Menschen, der einen Typus darstellt, der auf dem Fahrrad in die „Sackgasse seiner Mission strampelt, von Ewigkeit zu Ewigkeit…“. Es ist schwer ein so dickes Buch in Einzelszenen aufzulösen, was hebt man hervor, was lässt man weg? Die ausgewählten Szenen treten klar und farbig zu der Gefängnisumgebung in einen Kontrast, sie sind sehr naturalistisch gestaltet, die Menschen sprechen den nordischen Dialekt, die Landschaft wird beschrieben, die Farblinien des Hintergrundes sind den Bildern des Malers nachempfunden, der im Buch Nansen heißt und in Wahrheit Nolde ist.

Hauptpersonen typisch und echt

Die Verknappung hat zur Folge, dass die Nebenpersonen kaum hervorkommen, sie werden nach jeder Szene in das Ensemble der Mithäftlinge zurückgeführt.  Als Hauptpersonen werden der Polizist, sehr typisch, echt und authentisch gespielt von Joachim Nimetz, und der Maler Nansen einander diametral  gegenübergestellt. Martin Seifert gibt den Maler selbstironisch, klar und stark. Diese beiden führen durchs Stück und das Stück lebt durch ihre Dialoge.  Die Bedrängnis des Jungen fällt dagegen etwas ab, für die Ausgestaltung der Beziehung des Jungen (sehr gut besonders im zweiten Teil gespielt von Peter Miklusz) zum Maler bleibt manchmal nicht genügend Zeit.

Schutzlos und hilflos durch Wutprügelorgie 

Höhepunkt seiner Rolle ist die Szene, wo er den Vater bei seinen Verbrennungstaten entdeckt und sich erstmalig gegen ihn auflehnt und dann bei dem eine fürchterliche Wutprügelorgie hervorruft, der er schutzlos und hilflos ausgesetzt ist und die ihm anschließend das Rückgrat bricht. Das Publikum erkennt die Mechanismen, die danach die Psychose zum Ausbruch bringt, es erkennt und das ist gut.

Das Wesen der Nazi-Erziehung: Die kalte Mutter

Dieses und die gegeneinander kämpfenden Hauptpersonen, bei denen es sich um die Verkörperung der Hauptprinzipien Blinder Gehorsam gegen kreatives Selberdenken handelt, sind in allen Ausgestaltungsvarianten gut gelungen, die NS-Erziehung wird ganz folgerichtig durch eine kaltherzige Mutter ( wird durch einen Mann gespielt: Felix Strobel) verkörpert, da das Wesen der Nazi-Erziehung das Denunzieren der Muttergefühle als „Affenliebe“ , das vorsätzlich-bewusste Abtöten der Muttergefühle durch frühzeitige Entfremdung Prinzip ist.

Kapitän Andersen

Von den Nebenfiguren ist noch hervorzuheben der Kapitän Andersen, hier ist eine nordische Figur wie aus dem Buch herausgeschnitten gut getroffen worden, und Hinnerk Timmsen, der Wirt, der durch Martin Schneider auf wunderbar kleinbürgerlich-halbproletarische Weise gespielt wird.

Für alle diejenigen, die einmal die Jugend Deutschlands sein sollten: Unfrei und eingeschüchtert, zum Hass erzogen

Das Stück kann einen anregen, sich mit dem Buch “Deustchstunde” noch einmal zu beschäftigen, sich hinein zu versenken in seinen episch-breiten, und doch etwas steif-hölzernen Stil, mit dem Lenz das Drama seiner eigenen Kindheit und Jugend am Beispiel eines psychisch schwer traumatisierten Halbwüchsigen zum Exemple macht für all diejenigen, die einmal die Jugend Deutschlands werden sollten: Unfrei und eingeschüchtert, zum Hass erzogen, zu Mördern geprügelt, angeblich hart, in Wahrheit gestört und verwirrt, einsam und traurig. Wie heißt das? Brüllt der Vater seinen Jungen an: Du hast um sechs zu  Hause zu sein!“  Wer kennt den Satz nicht, er schallte in den 50/60er  Jahren aus jedem Fenster übeer Straßen und Höfe, in denen das Kinderspielen verboten war.

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