Humor und Nazizeit, am Beispiel des Theaterstücks “Sein oder Nichtsein” in Cottbus

In Cottbus fand gestern im großen Theater eine Veranstaltung statt, in der es um Humor und Nazizeit ging. Darf es Nazikritik mit Humor geben? Es muss, war die einhellige Meinung. Humor bricht das künstlich aufgerichtet Dämonische, der Witz präsentiert das Widerständige, er entlarvt, befreit.

Zwischen den Diskussionen wurde das Stück „Sein oder Nichtsein“ von Nick Whitby nach dem Lubitsch-Film gezeigt, das im November im Cottbusser Staatstheater Premiere hatte. Es zeigte sich in der Regie von Mario Holetzeck eine gut gelungene Aufführung, die die verschiedenen Ebenen von Künstlichkeit, Witz, Verstellung, Kopie, Satire und Humor bestens voneinander abgehoben wurden. In der  Spiel-im-Spiel-Thematik und der Entwicklung ihrer Protagonisten aus Enge und Selbstbezogenheit zu echter Größe gelang es vor allem sichtbar zu machen: Angst, Wut, Widerstandsgeist, den Willen sich nicht kleinkriegen zu lassen, Solidarität, Zusammenhalt und Kampfgeist.

Wenn man Mut fasst in einer Ohnmachtssitutation

Härte und Brutalität wird gekonnt der Lächerlichkeit preisgegeben und damit klein gemacht. Dass die Schauspieltruppe schon in ihrer ersten, noch naiv-parodistischen Spielweise im Vorspielstück des Stückes, wo es um einen Jungen geht, der seine Eltern an die Nazis verrät, dass da, trotz künstlicher Spielweise, sämtliche Reaktionen der NS-Protagonisten richtig voraussah, wurde gut deutlich.  Das daraus sich entwickelnde Lachen hebt an, weil man Mut fasst in einer Ohnmachtssituation.

Rollen werden sichtbar entwickelt, es bleibt bewusst, dass sie spielen

Die Bloßstellung der Nazi-Führer durch den Vergleich mit der eitlen Selbstverliebtheit von Schauspielern, wurde ebenfalls gekonnt umgesetzt, die Zuschauer lernen, sie nicht ernst zu nehmen, da sie sich in allem bloß inszenieren wollen, was ihre Dummheit entlarvt. Deshalb wird die Schauspieltruppe auch ständig wie mit den Augen hinter den Kulissen gegeben, man wird Zeuge, wie die einzelnen ihre Rollen aus sich selbst heraus mal so, mal so entwickeln, immer also bleibt bewusst, dass sie spielen.

“übt” sekundenschnelle Verwandlungsszenen

Josef und Maria Tura sind dabei glänzend besetzt und schaffen es durchaus an ihre Film-Originale heranzukommen. Oliver Breise, der die Kunst beherrscht, die Eitelkeit des Tura selbstironisch auf die Bühne zu bringen, gibt hier wirklich große Kunst. Ebenso Kristin Muthwill, erst kürzlich zum Cottbusser Ensemble aus München gestoßen, die Burgtheaterqualität besitzt und am allerstärksten in ihren Szenen ist, wo sie in Sekundenschnelle zahllos verschiedene Verwandlungsszenen „übt“, bevor sie dem Gruppenführer Erhard gegenübertritt. Auch sie, die sich durch Schnelligkeit, Temperament, gekonnt gespielter Künstlichkeit und einer besonderen Tiefe des Ausdrucks in der Marlene Dietrich-Imitationsszene bewegt, ist eine gute Besetzung.

Sigrun Schiller perfekte Gegenfigur

Als weiteres fällt noch die Figur der Anna positiv auf, als „Mädchen für alles“ im Ensemble, Maskenbildnerin, Kaffeekocherin, Gardrobiere, repräsentiert sie in gewisser Weise hier eine andere Gesellschaftsschicht, sie bringt etwas Proletarisches hinein, ihr Witz hat immer etwas Trockenes, Sigrun Schiller bringt das perfekt. Ihre Figur stellt den Gegenpol zu allen dar, die letztlich aus der bürgerlichen Intelligenzia-Schicht stammen und das trifft sich mit der Größe der Nebenfigur Grünberg, der den Shylock-Monolog zu Anfang dem Publikum in eine besondere Stille hinein spricht. Beide Nebenfiguren sind von ihren Spielern und dem Regisseur sehr ausdifferenziert angelegt, von den Spielern bestens entwickelt worden.   Sturmführer Fleischer (Michael Becker) und Gruppenführer Erhard (Rolf-Jürgen Gebert) geben ihre Rollen ganz im Sinne des von Hannah Arendt beschriebenem Banalen des Bösen und das Besondere des Lubitsch´en Entwurfs, hier Prototypen entwickelt zu haben, wird gut getroffen. Beide Schauspieler arbeiten unter Einsatz von Witz heraus, dass das Bedrohliche zwar präsent, aber zu entlarven ist.

Ernste Musik begleitet den Witz und verhindert das Abgleiten in Klamauk

Sehr besonders war auch die Musik: Es gab Einlagen, die wie die Musik von Luigi Nono wirkten, die die Bombardierungen von Warschau bei heruntergezogenem „Eisernen Vorhang“ symbolisierten und es gab einen polnischen Akkordeonspieler(Grzegorz Klemba), der die Szenen unaufdringlich, aber sehr schön begleitete. Seine Präsenz war außerordentlich stark. Klar wird: Ernste Musik verhindert das Abgleiten von Humor in Klamauk.  Mehrmals schien er das Ensemble wie zufällig zu polnischen Liedern zu inspirieren, die eine ganz besondere Stimmung von Mut und Zusammenhalt rüberbrachten, am Ende entfernte er sich leise spielend in den dunklen Hintergrund der Bühne, wie um deutlich zu machen: Das war unsere Geschichte, nun taucht sie wieder in ihre Versunkenheit zurück, vergesst sie nicht.

Angst vor Humor bei Nazizeit-Rezeption

In der weiterführenden Anschlussdiskussion beschreibt der begleitende Theaterpädagoge seine großen Schwierigkeiten, den Stoff für Cottbusser Lehrerschaft interessant zu machen. Es herrsche, sagt er, zT ein starke Angst vor, sich dem Thema satirisch-humoristisch anzunähern. Auch herrsche ebenfalls eine große Angst vor, sich mit der Naziaffinität der eigenen Schülerschaft zu konfrontieren. Das sei aber notwendig, um die Entwicklung einer neuen Rechten aufzuhalten oder ihr entgegenzutreten. Das könne man aber auf satirische Weise wesentlich effektiver als im trockenen Gesellschaftskundeunterricht. Einer aus dem Zuschauerraum meinte, dass der Lubitschfilm, wie auch Chaplins Großer Diktator oder auch andere satirische Auseinandersetzungen mit der Nazi-Zeit im Osten nur wenigen bekannt seien, stattdessen kenne man aber die hauptsächlich militärisch sich mit der NS-Zeit beschäftigenden sowjetischen Filme. Nach der Wende glaubten viele sich mit diesen „Kriegsgeschichten“ nicht mehr beschäftigen zu müssen. Ein großer Fehler, deren Folgen wir durchaus schon zu spüren bekommen. Die Jugendlichen finden ihr „Heil“ heute schon wieder in den Lügen und Märchen, die die Nazis, die es ja durchaus noch gibt, deren Anhänger viel Wind um sich machen, selber in die Welt setzen. Diese Propaganda kommt heute antikapitalistisch und sozial daher und wenn man ihnen nichts entgegensetzt als trockenen Lehrstoff nach Lern- und Sollzielen geordnet, dann kann man schnell den Kontakt zur jungen Generation verlieren.

Ein anregender Abend für Theaterpädagogen

Der Theaterpädagoge aus Cottbus hat Erfolg bei der Schülerschaft:  Er setzt in seinen Begleitseminaren auf Provokation, Witz, Humor und Satire, beschrieb viele interessante Beispiele, wie er das macht und kommt mit dieser Herangehensweise bei den Schülern gut an. Im Herbst wird es weitere Inszenierungen des Stückes „Sein oder Nichtsein“ am Staatstheater Cottbus geben, nichts wie hin, besonders mit Schulklassen, aber auch zu eigener Erbauung über die gute politische Wirkung des Lachens.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert